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High Noon im Hafenbecken von Barcelona

SG-Essen-Langstreckenspezialistin Isabelle Härle ist Weltmeisterin

Isabelle Härle qualifiziert sich gleich zweifach für die Weltmeisterschaften 2013 in Barcelona, sowohl über die 800-Meter-Freistil bei den Beckenwettkämpfen als auch für die Wettbewerbe im Freiwasser. Über fünf Kilometer verpasst Isabelle Härle noch die ersehnte Medaille. Am Ende fehlen Ihr nur 1,5 Sekunden für einen Platz auf dem Siegertreppchen – und sie belegt den fünften Rang. Isabelle ist nach diesem Resultat dennoch unzufrieden.

Nun will sie es im Team-Wettbewerb über fünf Kilometer wissen. Ihre Partner sind Thomas Lurz und Christian Reichert. Mit Thomas Lurz hatte sie bereits bei den Schwimmweltmeisterschaften 2011 in Shanghai die Bronzemedaille im Teamwettbewerb über fünf Kilometer in 57:44:2 Minuten geholt.

Gemeinsam mit Rekordweltmeister Thomas Lurz und Christian Reichert schwimmt die Langstreckenspezialistin der Startgemeinschaft Essen am 25. Juli 2013 im Yachthafen von Barcelona zu WM-Gold. Über fünf Kilometer distanziert das deutsche Freiwasserteam die zweitplatzierte Wettkampfgruppe aus Griechenland um mehr als eine Minute.

Hochspannung am Port Vell

Im alten Hafen von Barcelona startet am 25. Juli um 12.00 Uhr die erste Crew. Im Abstand von einer Minute starten die Mannschaften. Insgesamt sind 22 Teams im Wettbewerb. Startzeit von Team Deutschland: 12:04 Uhr. Vorbei an Booten, Yachten und einer historischen Kulisse gehen Lurz, Reichert und Härle in der Mittagshitze auf Medaillenjagd. Nach etwa der Hälfte der Distanz überholen die drei deutschen Schwimmer das eine Minute früher gestartete Trio der Italiener. Thomas Lurz wird später kommentieren: „Da wusste ich, dass wir ganz, ganz vorne dabei sind.“ Er war sich sicher, dass „es ein perfektes Rennen von A bis Z war“.

Trotz des guten Starts sind Härles Heimtrainerin Nicole Endruschat, die für den DSV vor Ort ist, und SG-Essen-Vorstand Bernhard Gemlau, der mit Endruschat in ständigem Telefonkontakt steht, in Sorge: Wird Isabelle Härle das hohe Tempo ihrer Teamkollegen mitgehen können? Die Antwort: Sie kann! Lurz später in der Rückschau: „Die Isi war perfekt schnell und wir waren perfekt aufgestellt. Es war eine Spitzenleistung!“

Beim Teamrennen ziehen zwei Männer idealerweise die Frau in einem kraftsparenden Sog. Während andere Teams teils kreuz und quer durcheinander schwimmen und wertvolle Kräfte verschwenden, schwimmen Lurz, Reichert und Härle in Idealformation und legen ein gleichmäßig hohes Tempo vor, dem keine andere Formation standhalten kann. Von der Kaimauer feuern Isabelle Härles Freund Hendrik Feldwehr und die anderen deutschen Beckenschwimmer „Team Germany“ lautstark an. Keine Stunde nach dem Start bricht am alten Hafen von Barcelona und zu Hause in Essen der Jubel aus. Das Deutsche Team steht mit einer unglaublichen Zeit von 52:54,9 Minuten an erster Stelle mit einem Vorsprung von mehr als einer Minute vor den Mannschaften aus Griechenland, Brasilien und Australien.

Isabelle Härle, Thomas Lurz und Christian Reichert legen die Fünf-Kilometer-Distanz sogar beinahe eine Minute schneller zurück als die Männer in der Einzelkonkurrenz. Weltmeister Oussama Mellouli aus Tunesien benötigte 53:30,4 Minuten für die Strecke. „Isabelle ist super geschwommen!“ freut sich auch SG-Essen-Vorstand Bernhard Gemlau. Trainerin Nicole Endruschat: „Für Isabelle ist das die Belohnung dafür, dass sie nach der verpassten Olympia-Qualifikation nicht den Kopf in den Sand gesteckt hat, sondern die ganze Saison über sehr hart und konsequent trainiert hat”.

Und Isabelle Härle selbst ist wahnsinnig froh: „Meine größte Angst war, dass ich den Jungs nicht hinterherkommen kann. Aber Gott sei Dank ist alles aufgegangen.“ Auch wenn Isabelle Härle eine der besten Open-Water-Athletinnen weltweit ist, schwimmt sie Freiwasser jedoch nicht aus Passion. Ihr liegen eher die „langen Kanten“ im Wettkampfbecken, eine eigene Bahn, sauberes Wasser und angenehme Temperaturen am Herzen. Dennoch scheinen ihr die langen Distanzen im Hafenbecken, vor Meeresküsten und in Schifffahrtskanälen in die Wiege gelegt worden zu sein.

Der Traum von Olympia

Ein Blick nach Rio zu den Olympischen Spielen 2016: Für die Freiwasser-Wettkämpfe hat Isabelle Härle hier gute Chancen. Nach ihrer verpassten WM-Qualifikation 2011 über 400 Meter, 800 Meter und 1500 Meter holte sie sich als Quereinsteigerin das Ticket nach Shanghai im Freiwasser und schwamm dort prompt zu WM-Bronze im Team. Chef-Bundestrainer Henning Lambertz sieht die Stärken von Härle durch ihre Grundgeschwindigkeit ebenfalls im Freiwasser. Ihr Kopf weiß, dass sie sich ihren Olympia-Traum wohl nur im offenen Wasser erfüllen kann.

Freiwasser ist kein leichtes Terrain – hier müssen die Schwimmer Talent, Technik, Ausdauer und Schnelligkeit unter Beweis stellen. Das hat die SG-Essen-Athletin im letzten Jahr beim Weltcup in Cancun bewiesen. Und trotzdem hat sie auf viele Faktoren keinen Einfluss. Wellen von rechts, Wellen von links, Gegenwind, Strömung, extreme Temperaturen, totes Getier, Abfälle, Öl und Quallen machen ein Freiwasserrennen häufig zu einer Tortur.

Diese Bedingungen sind es, die es Isabelle Härle immer wieder schwer machen: „Es kostet mich jedes Mal wahnsinnige Überwindung“. Bei der Vorbereitung auf das Weltcup-Rennen in Eilat (Israel) am Roten Meer sei sie von einer Qualle erwischt worden: „Das war wie ein Elektroschlag. Als ich aus dem Wasser kam, war mein ganzes Gesicht wie zerstochen.“ Aber Isabelle Härle wäre nicht Isabelle Härle, wenn sie nicht in ihrer lebensfrohen Art alles positiv betrachten würde: „Ich habe Gel draufgepackt, dann war es auch schnell wieder weg.“

Das nächste große Ziel für Isabelle Härle sind die Europameisterschaften im eigenen Land vom 13. bis 24. August 2014 in Berlin. Der ganz große sportliche Traum steht 2016 an: die Olympischen Spiele in Rio.