„Zwischen Freiheit und Fokus“ – wie Lukas Brockhaus seinen eigenen Weg findet

13/09/2025

Lukas Brockhaus ist 19, stammt aus Rheda-Wiedenbrück, hat über Dortmund seinen Weg nach Essen gefunden und startet heute für die SG Essen. Den Internatsalltag hat er nach zwei Jahren hinter sich gelassen; seitdem lebt er in einer eigenen Wohnung in Rüttenscheid. Für ihn bedeutet das mehr Eigenverantwortung und ein Plus an Selbstbestimmung – oder wie er es beschreibt: „Eigene vier Wände bedeuten für mich mehr Freiheit.“

Schule zuerst – aber sportkompatibel

Statt klassischem Gymnasium hat sich Lukas für das Vollabitur am Berufskolleg entschieden. Der Grund ist pragmatisch: Das Modell passt besser zu Trainingszeiten, Erholungsfenstern und Wettkampfkalender. Am Berufskolleg liegen die Schwerpunkte in Sport und Biologie, dazu kommen Didaktik/Methodik und Erziehungswissenschaften. Diese Fächer bereiten ihn parallel auf den FSL-C-Trainerschein vor – ein Freizeitsportleiterschein, mit dem er später eigenständig Gruppen anleiten kann. „Das klassische Gymnasium hat für mich zeitlich einfach nicht gut gepasst“, sagt er.

Training mit Handbremse – bewusst dosieren

Acht Wassereinheiten pro Woche, zwei Krafteinheiten und einmal Athletiktraining: In Summe landet Lukas bei rund 18 Stunden. Das Entscheidende ist nicht „möglichst viel“, sondern richtig dosiert. Er kennt seinen Körper und weiß, dass mehr Umfang nicht automatisch mehr Leistung bringt. „Ich bin der Typ, der auf zu viel Umfang eher kaputt reagiert“, fasst er zusammen. Genau deshalb bleibt es meist bei zwei Frühtrainings – Qualität vor Quantität.

Stundenplan? Flexibel – mit Vorlauf

Der Unterricht beginnt häufig erst um 8:35 Uhr, zweimal die Woche geht es bis 15:30 Uhr. Frühtraining und Schule werden im Vorfeld eng abgestimmt: montags und freitags ist er für die erste Stunde offiziell freigestellt, Klausuren werden rechtzeitig eingeplant – notfalls auch im Trainingslager. Die Kommunikation mit Trainerteam und Lehrkräften läuft verlässlich, weil er Probleme früh adressiert. „Frühzeitig Bescheid sagen – dann finden wir Lösungen“, sagt er.

Keine Sportkoordination – trotzdem ein kurzer Dienstweg

Anders als am Helmholtz-Gymnasium gibt es an seinem Berufskolleg keine formale Sportkoordination. Trotzdem funktioniert die Balance, weil Klassenlehrer und Schulleitung sportaffin sind und pragmatische Wege gehen. Wenn Trainingslager, Meisterschaften oder Terminverschiebungen anstehen, wird gemeinsam geschoben statt blockiert. „Ich habe sogar im Trainingslager zwei Klausuren geschrieben“, erzählt Lukas – möglich gemacht durch gutes Timing und klare Absprachen.

Wegweiser statt Einzelkämpfer

Entscheidungen trifft Lukas nicht im Alleingang. Eltern, Trainer*innen, Geschwister und Freundeskreis liefern Feedback und unterschiedliche Blickwinkel. Das hilft, Optionen sauber abzuwägen – vom Schulwechsel bis zum Wohnmodell. Seine Linie: offen reden, früh planen, ehrlich bleiben, wenn etwas zu viel wird. „Verschiedene Blickwinkel helfen, ruhig zu bleiben und lösungsfokussiert zu denken“, sagt er.

Alltag zwischen Bahn und WG-Klingel

Ein Auto braucht er nicht – am Wochenende geht es oft mit der Bahn nach Hause. Unter der Woche sorgt das „Swimmer-Kiez“ in Rüttenscheid für soziale Nähe: kurze Wege, offene Türen, zusammen kochen. Das Netzwerk fängt viel auf, gerade in intensiven Phasen. Wenn Klausuren anstehen, werden Freizeit und Socials bewusst runtergefahren. „Ich plane Lernblöcke auf das Wochenende, damit ich unter der Woche nach dem Training nicht bis spät nachts am Schreibtisch sitze“, erklärt er.

Finanzielle Realität – klar benennen

Wie viele Abiturient*innen wird Lukas aktuell von den Eltern unterstützt. Ein Nebenjob passt momentan nicht in den Rahmen – nicht, ohne Trainingsqualität oder Regeneration zu riskieren. Er benennt das ohne Drama, aber ehrlich: Prioritäten sind gesetzt, und Schule plus Leistungssport sind Vollzeit. „Nebenjob on top klingt gut, ist aber realistisch nicht machbar“, sagt er.

Nächster Schritt: Physiotherapie

Nach dem Abitur will Lukas eine Ausbildung zum Physiotherapeuten starten – idealerweise in Essen. Vorpraktika hat er bereits absolviert, ein weiteres folgt im Sommer. Die Richtung passt zu seinem Sportlerprofil: Körperverständnis, Arbeit mit Menschen, klare Entwicklungspfade. „Der Plan fühlt sich richtig an“, sagt er – Theoriephase zu Beginn, dann mehr Praxis und Routinen, die sich auch mit Trainingszyklen arrangieren lassen.

Systemblick: Mehr Team, mehr Anreize

Lukas lobt das Campus-Modell aus Internat, Schule und Schwimmhalle – für manche ist die räumliche Nähe Gold wert. Sein eigener Weg zeigt gleichzeitig, dass Eigenständigkeit eine tragfähige Alternative sein kann. Kritisch sieht er die Förderungssituation in Deutschland: Sehr gute Athlet*innen außerhalb der absoluten Spitze bekommen wenig Sichtbarkeit und selten finanzielle Entlastung. „Viele sehr gute, aber ‚nicht ganz Top-3‘ Sportler fallen durchs Raster“, sagt er. Sein Impuls: mehr teamzentrierte Formate mit echter Atmosphäre – Vorbilder sind DMS und DMSJ, wo jede Strecke und jeder Punkt zählt.

Wettkämpfe, die knistern

Warum das wichtig ist? Teamformate schaffen Bindung – im Kader und im Publikum. Sie machen Leistung nachvollziehbar und geben auch den „Nicht-Final-Lanes“ Bedeutung. Lukas erinnert sich an kleine, intensive Standortvergleiche, die mit wenig Setup viel Emotion erzeugen. Er wünscht sich mehr davon: kürzere Sessions, klares Scoring, laute Teams. „Wenn mehr Wettkämpfe so wären, würden sich mehr Athlet*innen gesehen fühlen – und die Öffentlichkeit gleich mit“, sagt er.

Was er Jüngeren mitgibt

Lukas’ Rat an Schüler*innen in Klasse 8/9: informiert bleiben, früh sprechen, Hilfe annehmen. Rückschläge gehören dazu; entscheidend ist, handlungsfähig zu bleiben. Wer mit Eltern, Lehrkräften und Trainer*innen im Gespräch bleibt, findet meistens einen Weg, der zum eigenen Typ passt. „Zieht euch nicht raus – es gibt fast immer eine Lösung“, sagt er.

Sein Fazit

Leistungssport und Abitur ohne Internat – das geht, wenn Umfeld, Planung und Selbstkenntnis zusammenspielen. Lukas verbindet bewusst dosiertes Training mit einem schulischen Setup, das Spielräume lässt, und mit einem Netzwerk, das trägt. Für ihn ist klar, warum er das tut: Routinen, Team, gemeinsame Ziele. „Ohne Schwimmen sähe mein Leben komplett anders aus – mir würden Routinen und Menschen fehlen“, sagt er. Genau deshalb geht er seinen Weg weiter – fokussiert, frei und mit Plan B in der Tasche.