„Zwischen Studium, Spitzensport und Selbstfindung“ – Moritz Schaller

07/09/2025

Vom Abitur über Umwege zum dualen Studium – und mitten hinein ins Leistungssportleben am Bundesstützpunkt Essen.

 

Ein etwas anderer Weg ins Leistungssportleben

Wenn man Moritz Schaller (25) heute am Bundesstützpunkt Essen im Wasser sieht, könnte man meinen: klassischer Leistungssportler, seit der Kindheit auf Olympia-Kurs. Aber sein Weg war anders. „Ich habe relativ spät wirklich intensiv trainiert“, erzählt er. Mit zwölf wurde Schwimmen zwar ernster, aber erst nach dem Abi stieg er so richtig ein.

Während andere schon mit 15 in Stützpunktsystemen hingen, trainierte Moritz in Langenfeld, wechselte für ein paar Jahre nach Solingen, kehrte zurück – und ging erst mit 18 nach Wuppertal zum SG Bayer. „Da habe ich dann von sieben Stunden Training auf siebzehn erhöht. Vorher war das noch eher Hobby-plus.“

Nach sechs Jahren Wuppertal kam der nächste Schritt: Essen. „Ich hatte das Gefühl, dass ich noch einmal neue Reize setzen sollte. Ich wollte wissen, was in mir steckt – damit ich mit 70 nicht zurückblicke und denke: ‚Hätt’ ich doch mal…‘.“

Studium? Ausbildung? Oder doch was ganz anderes?

Nach dem Abi stand erstmal ein Studium auf dem Plan – Bauingenieurwesen. Klingt logisch, wenn Vater und Opa Bauingenieure sind. Doch der Funke sprang nicht über. „Das Thema war einfach nicht meins. Ich habe vier Jahre studiert, ohne Abschluss. Motivation? Fehlanzeige.“

Corona machte es nicht leichter. Prüfungen konnten gefühlt endlos wiederholt werden – „mir fehlte der Druck, auch mal richtig zu scheitern“. Rückblickend sagt Moritz: „Vielleicht hätte ich schon früher was anderes machen sollen.“

Das „andere“ kam durch einen Umweg: ein Schulpraktikum in der Pflege und die ständigen Arzt‑ und Physio‑Besuche seines Trainingskumpels. „Ich habe gemerkt: Physiotherapie liegt mir, das passt zu mir. Und dann habe ich ein duales Studium gestartet – Ausbildung und Studium kombiniert. Heute merke ich jede Woche mehr, dass es das Richtige ist.“

Duales Studium + Leistungssport = Hardcore‑Zeitmanagement

Sein Alltag ist straff getaktet. Frühtraining, Ausbildung, Uni, Nachmittagstraining – irgendwo dazwischen Lernen, Einkaufen, Arzttermine, Freunde. „Zeitmanagement ist alles. Ich bin da echt besser geworden.“

Besonders die Praktika‑Phasen waren herausfordernd: 32‑Stunden‑Woche im Krankenhaus plus volles Trainingspensum. „Der Tag war komplett durchstrukturiert. Wenn dann das Auto streikt oder der Perso abläuft, hast du direkt ein Problem. Aber es geht, wenn man will.“

Finanziell? Kein Zuckerschlecken. Die Ausbildung ist zwar kostenlos, fürs Studium fallen allerdings rund 10.000 Euro an – bezahlt von den Eltern. Eigenes Einkommen? Fehlanzeige. „Das geht nur, weil meine Eltern mich unterstützen. Ohne sie wäre das so nicht möglich, alleine könnte ich das nicht stemmen.“

Kein Studentenleben, dafür echte Freunde

Party, Kneipe, Studentenwohnheim – das klassische Studentenleben hat Moritz nicht. Und er vermisst es auch nicht: „Ich hatte eine richtig gute Schulzeit. Vielleicht war das schon mein Studentenleben.“

Stattdessen: Training, Ausbildung, Wochenende in Langenfeld mit alten Freunden oder zocken online. „Das reicht mir. Klar, wenn ich sehe, wie meine Freunde feiern gehen, denke ich manchmal: schade. Aber ich habe mich bewusst für den Sport entschieden.“

Unterstützung? Ja, aber vor allem Eigeninitiative

Den Alltag regelt er selber. „Man muss selbst klar machen, was man braucht. Ob im Praktikum, an der Uni oder im Job: Wenn man offen kommuniziert und Gas gibt, bekommt man Verständnis. Aber das muss von einem selbst ausgehen.“

Der Sport hilft ihm, diese Disziplin aufzubringen. „Wenn ich den ganzen Nachmittag frei hätte, würde ich trotzdem nur eine Stunde lernen. Durch den Sport weiß ich: Ich habe nur diese Zeit – also nutze ich sie.“

Sein Rat an Jüngere

Moritz’ Weg war nicht gerade. Und genau das ist seine Botschaft: „Es gibt nicht den einen Weg. Man darf Umwege machen. Wichtig ist, dass man sich früh kümmert, verschiedene Sachen ausprobiert und ehrlich zu sich selbst ist.“

Sein Tipp: Ein „Gap Year“ nutzen, Praktika machen, verschiedene Bereiche testen. „In NRW gibt’s so viele Möglichkeiten. Wichtig ist, dass das Modell zu dir passt – nicht, was den besten Ruf hat.“

Wünsche für den Leistungssport

Was muss sich ändern? „Mehr Anerkennung. Oft sehen Dozenten oder Chefs nur, dass man weniger Zeit für Ausbildung oder Studium hat. Dass man die Zeit aber nicht vertrödelt, sondern in Leistungssport steckt, sehen und verstehen viele nicht.“

Außerdem wünscht sich Moritz flexiblere Strukturen – Nachschreibetermine, die Rücksicht auf Trainingslager nehmen, oder Übergangsmöglichkeiten beim Wohnen. „Ein Stützpunkt‑Haus, in dem man mal für ein paar Wochen wohnen kann, wäre Gold wert.“

Ausblick

Im Sommer steht das Staatsexamen an, dann die Bachelorarbeit. Danach will Moritz als Physiotherapeut arbeiten – möglichst in Teilzeit, um weiter zu trainieren. „Eine 20‑Stunden‑Woche wäre perfekt. Sport soll weiterhin ein großer Teil meines Lebens bleiben.“

Und rückblickend? „Ich würde alles wieder so machen. Auch die vier Jahre Bauingenieurwesen, die auf den ersten Blick nach Zeitverschwendung aussehen. Ich brauchte den Umweg, um meinen Weg zu finden.“