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Der Countdown läuft – nach Rio ist vor Tokio

Nach Rio ist vor Tokio

Nach Rio ist vor Tokio: Wer sich für die Olympischen Spiele qualifiziert, hat dafür sehr hart gearbeitet und viele Entbehrungen auf sich genommen. Gutes Geld verdient im Schwimmsport kaum jemand. Man tut es der Sache wegen, für den Traum von der Teilnahme an den Olympischen Spielen, dem größten und bedeutsamsten Sportereignis im Leben eines Sportlers. Wer zu den Olympischen Spielen fährt, fährt nicht dorthin, um einen netten Ausflug zu machen; wer zu den Olympischen Spielen fährt, will sein Bestes geben.

Nachwuchstalent Damian Wierling – nominiert aufgrund seines fulminanten Auftritts bei den Deutschen Meisterschaften mit 2 Titeln und einem Deutschen Rekord – hinterließ eine deutliche Duftmarke für Tokio 2020.

Aus meiner Sicht lautet daher nicht die Frage: Warum habt ihr keine Medaillen in Rio geholt? Sondern: Was können wir für euch Schwimmerinnen und Schwimmer tun, die ihr vier Jahre lang – aus eigener Motivation und nicht aufgrund finanzieller Anreize – hart trainiert und auf vieles verzichtet habt, damit ihr bessere Möglichkeiten habt, um euch optimal vorzubereiten. Rio ist nicht vergessen, aber die Leistungen unserer Schwimmerinnen und Schwimmer haben mittlerweile eine realistische Einordnung erhalten. „Die Essener Teilnehmer haben die Erwartungen erfüllt“, erklärt Stützpunkt-Chefin Nicole Endruschat. Punkt.

Isabelle Härle sorgte mit Platz 6 über die 10 km für die beste Platzierung aller deutschen Schwimmerinnen und gehörte damit mit Paul Biedermann, Philip Heintz und der männlichen 4×200 Freistil-Staffel, die auch allesamt Platz 6 im Finale erreichten, zu den erfolgreichsten deutschen Schwimmern. Routinier Dorothea Brandt hat im Orchester der internationalen Top-Sprinterinnen im Rahmen des realistisch Machbaren mitgemischt. Nachwuchstalent Damian Wierling – nominiert aufgrund seines fulminanten Auftritts bei den Deutschen Meisterschaften mit 2 Titeln und einem Deutschen Rekord – hinterließ eine deutliche Duftmarke für Tokio 2020.

Christian vom Lehn verhalf – gemeinsam mit Damian Wierling – der 4×100 Lagen- Staffel zum Finaleinzug. Als erfahrene Trainerin konnte Endruschat sehr genau trennen, was in Rio realisierbar war und was wünschenswert gewesen wäre. Geliefert wurde, was realisierbar war und sogar ein Stückchen darüber hinaus.

Der Countdown für Tokio läuft

Im Schwimmzentrum Essen- Rüttenscheid, einem von 5 Bundesstützpunkten in Deutschland, ziehen zahlreiche Schwimmer der deutschen Schwimmelite fleißig ihre Bahnen. 9–10 Mal wöchentlich sind sie im Wasser, zusätzlich an 5–6 Tagen in der Woche im Kraftraum. Kaum eine Sportart hat einen vergleichbar hohen Trainingsaufwand wie der Schwimmsport.

Trotz aller Anstrengung ist die Stimmung gut. Tokio scheint im nacholympischen Jahr weit weg zu sein. Von der Entfernung her, ja: Beinahe 10.000 Kilometer weit entfernt ist Tokio von Essen, wenn man die Strecke aus der Luft betrachtet. In den Köpfen und in den Herzen der Athletinnen und Athleten und in ihren Trainingsplänen sind die Olympischen Spiele 2020 in Tokio am Olympiastützpunkt Essen-Rüttenscheid längst angekommen.

„Die Normen (Anm. d. Verf.: für die Olympiaqualifikation) werden noch etwas härter werden“, erklärt Nicole Endruschat „aber wir werden die Herausforderung annehmen, denn wir wollen nach Tokio!“ Im nacholympischen Jahr hatten sich die drei SG Essen-Asse Max Pilger, Damian Wierling und Poul Zellmann zunächst anderen Disziplinen zu widmen als dem Schwimmen: 7 Wochen hieß es für Damian und Max marschieren, schießen, zelten unter freiem Himmel und die Stube sauber halten. Auch für die Mitglieder der Sportkompanie ist die Grundausbildung Pflicht.

Poul – bereits seit einem Jahr Sportsoldat – hatte einen mehrwöchigen Lehrgang in der Bundeswehrkaserne in Warendorf zu absolvieren. Disziplin und Durchhaltevermögen – kein Thema für Schwimmer. Ohne diese Tugenden wären die drei als Schwimmer nicht so weit gekommen – an die internationale Spitze im Schwimmsport. „Training geht in der Grundausbildung nicht“, erklärt Nicole Endruschat, aber das sei im nacholympischen Jahr „nicht das große Problem“. Trotzdem sei es Damian Wierling gelungen, sich für den Olympiakader zu qualifizieren. In den Olympiakader werden Schwimmerinnen und Schwimmer aufgenommen, die bei Weltmeisterschaften mindestens auf den 8. Platz oder bei Europameisterschaften mindestens eine Bronzemedaille erschwommen haben. Neben dem Olympiakader hat der DSV noch einen Perspektivkader aufgestellt. In dem sind vor allem junge Talente, denen man perspektivisch Chancen auf eine Olympiateilnahme zutraut.

Poul Zellmann, Max Pilger und Lisa Höpink werden aller Wahrscheinlichkeit nach in diesen Perspektivkader berufen, eventuell auch noch Moritz Brandt. Die Weichen für die Olympischen Spiele 2020 sind gestellt. Nun gilt es, die besten Rahmenbedingungen für die Vorbereitung auf die Spiele zu schaffen. Die vier Jahre zwischen zwei Olympischen Spielen werden Olympiazyklus genannt. Der Trainingsaufbau im Olympiazyklus ist abhängig von der jeweiligen Zielstrecke. Bei den Langstrecklern geht es darum, möglichst viele Meter zu machen; bei den Sprintern stehen die Geschwindigkeiten und die Intensität in den Serien im Vordergrund. „Ein Sprinter muss sich sehr, sehr viel in seiner Wettkampfgeschwindigkeit bewegen“, erklärt Nicole Endruschat. Um die Trainingsbedingungen am Bundesstützpunkt Essen-Rüttenscheid zu verbessern, wird im Jahr 2018 der Kraftraum erweitert. Ziel ist, dass die Athleten „noch zwei Jahre vor Tokio unter den verbesserten Bedingungen trainieren können“, erklärt Bernhard Gemlau, Vorsitzender der Startgemeinschaft Essen.

Messpunkte und Meilensteine für die Athleten auf dem Weg zu den Olympischen Spielen in Tokio werden sein:

Neben gemeinsamen Trainingslagern will der Deutsche Schwimm-Verband wieder spezielle Projekte aufsetzen. Geplant ist wieder ein Staffel-Projekt. Im Staffel-Projekt werden potentielle Staffelteilnehmer gemeinsam Lehrgänge absolvieren, in denen u. a. die Staffelstarttechnik optimiert werden soll. Die Athleten sollen aber auch als Team näher zusammenrücken, um sich im Training und bei geplanten gemeinsamen Wettkämpfen zu pushen. Ziel ist es, die Qualität innerhalb der Staffel zu erhöhen. Mitglieder dieser Staffelprojekte werden Damian Wierling und Lisa Höpink für die 100 m Krauldistanz sein, im Projektteam der 4×200 m Staffel sind Poul Zellmann und Moritz Brandt beteiligt, aber auch einige Nachwuchsschwimmer aus der Juniorennationalmannschaft, darunter auch der Neu-Essener Alexander Eckervogt. Bei den Olympischen Spielen in Tokio möchte der DSV sowohl bei den Damen als auch bei den Herren mit einer 4x 100 m Freistilstaffel und mit einer 4x 200 m Freistilstaffel gegen die internationale Konkurrenz antreten. Daneben ist ein Sprinter-Projekt geplant. Bei dem Sprinter-Projekt soll mit Hilfe der Trainingswissenschaft vermehrt am Start und an den Tauchphasen sowie an der Kraft gearbeitet werden. Gesetzt für das Sprinter- Projekt sind Damian Wierling und Lisa Höpink.

Was erwartet die Cheftrainerin am Bundesstützpunkt Essen von den Olympischen Spielen in Tokio?

„In Tokio werden wir uns auf perfekt durchorganisierte Spiele freuen können“, erklärt Nicole Endruschat, „auf eine gute Organisation und auf perfekte Bedingungen.“ Die Japaner werden mit einer Super-Schwimmmannschaft antreten.

Wer von der SG Essen hat eine erweiterte Chance zur Teilnahme an den Olympischen Spielen?

Das Freiwasser-Nachwuchstalent Jeannette Spiwoks wird es sehr schwer haben, sich für Tokio zu qualifizieren. Im Gegensatz zu den vielen verschiedenen Strecken im Becken sind im Freiwasser nur die 10 km olympisch. Außerdem erfolgt die Qualifikation nicht national, sondern nur durch Platz 1–10 bei der WM 2019 ist man direkt für Tokio qualifiziert. Sollte das keiner deutschen Schwimmerin gelingen, gibt es noch eine weitere Chance bei einem Weltcup-Rennen. Dort hat dann aber nur noch eine Sportlerin pro Nation die Chance auf eine Qualifikation im zweiten Anlauf. Trotzdem arbeitet Jeannette aber natürlich täglich sehr hart und diszipliniert für ihren großen Traum, und wird dabei mit vielen Tipps von Isabelle Härle unterstützt. Sicherlich gibt es auch in der 2. Reihe noch einige Athleten in Essen, die von einer Olympiateilnahme träumen. Vielleicht gibt es ja da noch eine Überraschung.

Welche besonderen Anstrengungen werden noch unternommen?

Geplant sind auch Trainingslager, um möglichst oft unter optimalen Bedingungen trainieren zu können, um besondere Reize zu setzen und auch einmal weg vom Alltagsstress zu kommen. Im Herbst dieses Jahres geht es z. B. für einige der Essener Top-Athleten für ca. 3 Wochen nach Australien. Dort werden sie sich verschiedenen Trainingsgruppen anschließen, um jeweils mit den besten Trainingspartnern für ihre individuelle Zielstrecke zu trainieren. Poul fliegt zum 400 m Freistil-Olympiasieger Mack Horton nach Melbourne. Damian sucht die Konkurrenz mit dem schnellsten australischen Sprinter Cameron McEvoy an der Gold Coast University. Max Pilger wird mit dem australischen Rekordhalter über seine Paradestrecke 200 m Brust in Sydney trainieren und Lisa geht zu Emily Seebohm nach Brisbane.

Im Januar ist dann ein DSV-Trainingslager in Südafrika geplant. Auch ist die Teilnahme an mehr internationalen Wettkämpfen vorgesehen, um sich mit der internationalen Konkurrenz zu messen. Diese internationalen Wettkämpfe sind ein wichtiger Baustein in der Vorbereitung auf die sportlichen Höhepunkte. Aber sie bringen auch große finanzielle Belastungen mit, bei denen die SG Essen schnell an Grenzen stößt. Gerade für Damian Wierling sind diese internationalen Wettkämpfe wichtig, da es aktuell in Deutschland keinen Schwimmer gibt, der annähernd seine Zeiten schwimmen kann. Letztlich wird sich das deutsche Tokio-Aufgebot auch öfter mal Richtung Osten bewegen, um sich an die Zeitverschiebung und an die Ernährungsweisen zu gewöhnen.

Zum Abschluss des nacholympischen Jahres geht es bei den Kurzbahn-Europameisterschaften 2017, die vom 13.–17. Dezember in Kopenhagen (Dänemark) ausgetragen werden, für die deutschen Olympiakandidaten zur Sache. Aus Essen wird Damian Wierling mit dabei sein. Poul Zellmann wäre zwar auch für die Kurzbahn-EM qualifiziert, muss aber in Diensten der Bundeswehr bei der zeitgleich stattfindenden Militär-WM in Rio de Janeiro an den Start gehen, genau wie Max Pilger und Dorothea Brandt.

Das Sprint-Ass und der Langstreckenspezialist waren bereits bei der Schwimm-WM in Budapest im Juli dieses Jahres für den Deutschen Schwimm-Verband am Start.

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